Einmal fand ich ein Schneckenhaus. Ich ging hinein. Das Licht schien durch die hellen Wände. Elfenbeinlicht.
Immer weiter ging ich, langsam, doch ohne zu zögern. Bei jedem Schritt verlor ich etwas von dem Gerümpel, das mir anhaftete.
Schließlich erreichte ich die Mitte. Sie war leer und still.
Ich war leer.
Ich ging wieder hinaus in die Welt, Schritt für Schritt.
Da war die Welt ganz neu.
Schneckenhäuser liebe ich.
Ich bin wieder unterwegs.
Unterwegs habe ich ein Labyrinth gefunden.
Ohne den Faden der Ariadne zu besitzen, wage ich mich hinein. Der Weg führt im Kreis herum, links herum, Schleife, rechts herum. Lange irre ich im Außenbereich herum - wie im richtigen Leben? - bis ich überraschend die Mitte erreiche.
Hier finde ich nicht: Meine Freude das Ziel zu erreichen.
Hier finde ich nicht: Leere, denn die Mitte ist voller Mangel.
Ich trete den Rückweg an. Ich suche den Ausweg. Nach ein paar Schritten schon irre ich wieder im Außen herum, weit entfernt von der Mitte, als wäre ich nie dort gewesen; im Außen, ohne Mitte und ohne Tür hinaus.
Ich sehne mich nach einem spiralförmigen Labyrinth, dessen Weg stetig und verlässlich in die Mitte führt, nur die Zeit ist ungewiss, Runde um Runde, immer wieder dem Gleichen begegnend, aus immer wieder neuem Blickwinkel. Unterwegs verliere ich nach und nach, Stück für Stück, alles, was mir anhaftet, Gewichte, Ballast, Gerümpel, bis ich die leere Mitte finde.
Angekommen bei mir.
Der Weg hinaus in die Welt führt immer wieder an den gleichen Stellen vorbei, die ich aus immer wieder neuem Blickwinkel sehe, mit freiem, unverfälschtem Blick, bis ich draußen in der Welt ankomme, neu und stark.
Ich weiß schon, warum ich Schneckenhäuschen so liebe.
Regenfarbene Landschaft, nasser Himmel und trockene Erde, sommerlose Niemandszeit.
Die Jahr verharrt in dem Moment zwischen Einatmen und Ausatmen.
Jahraus, jahrein dasselbe Dorfleben, dieselben Dorfleute, dieselbe Ama - Tag für Tag allem gestorben und jeden Morgen die Welt neu sehen und den ersten Tag erleben.
Dem ersten Tag zum Trotz drängt sich ein Bild aus einer anderen Welt in den Augenblick: Eine Kindheitserinnerung. Wir Kinder sitzen in unserer Dorfschule auf unseren Bänken und müssen nach dem gemeinsamen Morgengebet die Hände auf den Tisch legen zur Inspektion. Wer schmutzige Hände hat oder Dreck unter den Fingernägeln, bekommt einen Strich mit dem Rohrstock drauf. Nur die Kinder, die nachmittags bei der Kartoffelernte helfen, dürfen schwarze Fingernägel haben, ohne geschlagen zu werden.
Während ich auf dem Fahrrad zum Dorfladen unterwegs bin, hänge ich diesen Gedanken nach.
Ich betrete den Laden, die Türglocke bimmelt altmodisch. Bald darauf schlurft die Kaufmannsfrau aus dem Lager hinter die Fleischtheke, vor der ich stehe.
"Na, Ama, was darf's denn sein?"
"Fünf Scheiben Salami, fünf Scheiben Mortadella."
Ich schaue zu, wie sie den Aufschnitt mit ihren Wurstfingern anfasst, schneidet und auf das Papier legt. Ich habe mir längst meine Empfindlichkeiten abgewöhnt. - Aber heute sind die Wurstfinger hinter der Wursttheke schwarz! Dicke schwarze Trauerränder unter den Nägeln! Wie bei den Kindern, die früher zur Herbstzeit die Kartoffeln aus der Erde buddeln mussten!
"Stell dir vor, Ama! Die neuen EU-Richtlinien treiben immer neue Blüten", plaudert sie empört drauf los. Sie liebt die Empörung. "Da muss man doch seit neuestem auf dem Kartoffelroder mit SAUBEREN Fingern stehen! Das ist Vorschrift! Hat mir der Bauer Kartoffel-Meyer selbst erzählt heute morgen! Kannst du dir sowas vorstellen?"
Ich bin verblüfft. Wie kommt sie auf DIESES Thema?
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Befriedigt sieht sie meinen Gesichtsausdruck:
"Ja, Ama, da staunst du, was? Ich sach ja, alles Quatsch mit diese Europopolitik!"
Ich bin ok.
Ich bin!
Danke für Eure Nachfragen!
Irgendwie bin ich in chronischer Non-Schreib-Stimmung. Ist das ein Krankheitssymptom, Untreue oder eine Fixierung auf die Offline-World?